Mein Vorsatz für das vergangene Jahr war es, mehr Spaß zu haben. Ganz pragmatisch habe ich für den Sommer 2022 einen Camping-Trip mit Freund:innen organisiert. Und ja: Wir hatten Spaß. Es fühlte sich frei und unbeschwert an und wir waren im Flow.
Aber: Spaß kann nicht Event-gebunden sein.
Das würde ihn unglaublich teuer und auch selten machen. Genau das beschreibt aber mein aktuelles Gefühl, wenn ich an Spaß denke. Eine Kostbarkeit, die nur bedingt zu meinem Alltag gehört. Anstatt meiner Lebensfreude trage ich oft Erschöpfung mit mir rum. Heike Geißler schreibt in ihrem Buch Liegen folgendes:
“Ich dachte an all meine müden Freund*innen, die sich um 21 Uhr zu Bett legen, seit Jahren schon. Die keine Kraft haben, ganze Arbeitstage durchzuhalten, die keine Kraft haben, Tage ohne Alkohol zu überstehen, die keine Lust mehr haben, sich Verbesserungen auszudenken, die sowieso keine Lust mehr haben, selbst wenn ihre Arbeit eine selbstgewählte, weitgehend selbst gestaltete ist, eine freie Arbeit, freier als vieles andere. Freund*innen, die die letzten Jahre nicht gut überstanden haben, die nun geradewegs zerfallen.”
Ich will nicht zerfallen. Wir alle wollen nicht zerfallen. Aber ich verstehe das Liegen als Revolution.
Letztens saß ich im Café mit meiner Kollegin, der Journalistin und Autorin Julia Wadhawan, sie sagte, dass sie gerade viel über Kreativität nachdenkt, die irgendwie einfach mit dem Erwachsenenleben verschwindet. Als Kind arbeitet man an seinen Projekten, daraus muss nichts entstehen.
Als Erwachsene erfüllt man seine Rollen.
Meine Rollen: Mutter von drei Kindern, Teil einer Patchwork-Familie, Freelancerin, Frau, Freundin, Tochter, Schwester und ich informiere mich über das Weltgeschehen, um mich einzusetzen für Dinge, die ich als wichtig erachte und um gute Entscheidungen treffen zu können. Zum Sport gehe ich auch. Zweimal die Woche (wenn nicht jemand krank ist und alle Pläne wieder über Bord geschmissen werden). Mein Erwachsenenleben hat mir statt Spaß Frustrationstoleranz gebracht.
Die Journalistin Ana Wetherall-Grujić hat im vergangenen Jahr ein Baby bekommen und erzählt in ihrem Podcast Keine Hand frei von dem Meme der Wein-Trinkenden Mutter, also die Frau, die eben so erschöpft ist, dass ihr einziger Spaß das Glas Wein ist. Oder alternativ das Schaumbad.
Ich will dieses Meme nicht sein. Aber ich muss auch erstmal aus der Wanne kommen.
Wie sollen wir nicht müde sein, erschöpft nach knapp drei Jahren Pandemie? Und da komme ich jetzt und will den Spaß zurück. Ein weiteres To-Do. Klingt anstrengend, klingt nach toxischer Positivität. Klingt nicht nach Spaß. Die Psychologin und Autorin Poojah Lakshmin sagt:
"Productivity is a scam. What we really need to do is to find more ways to give back time to ourselves.”
Eine eigene Rolle für Kreativität gibt es in meinem Leben nicht. Ich glaube nicht, dass Spaß und Kreativität dasselbe sind, aber ich glaube, dass sie einander bedingen. Und deshalb mag ich das Bild von Julia so gerne, also das Bild mit den zu erfüllenden Rollen, weil es so klarmacht, dass etwas fehlt, wenn wir nur erfüllen. Erleben, gestalten, verändern. „Es geht ums Spielen! Ums ausprobieren und experimentieren, um die Neugier“, sagt sie. Und auch einfach nur ums Sein.
Und wenn man so drauf blickt, dann weicht der Gedanke an das toxische und macht Raum für den Gedanken, wieder zu gestalten.
Und wenn wir gestalten, dann formen wir auch Realitäten.
Wenn wir Realitäten formen, dann können wir Dinge verändern.
Wenn wir verändern, dann sind wir wirksam.
Vielleicht machen wir dann das Leben auch besser, also unser eigenes, aber auch das der Communities, in denen wir leben? In dem wir mehr Kraft haben, wieder zurückzugeben?
Durch die Journalistin Birgit Querengäßer und ihren Artikel in der Myself bin ich auf das Buch The Power of Fun gestoßen. Die Autorin Catherine Price schreibt Spaß eine bedeutsame Rolle zu. Sie unterscheidet zwischen echtem Spaß und unechtem Spaß – echter Spaß verbessert unser Leben, wir gehen dadurch Verbindungen ein und er trägt uns durch den Alltag. Unechter Spaß ist sowas wie doomscrolling. Haben wir doch einen Ausweg vom ewigen wischen gefunden, dann fühlen wir uns ausgelaugt. Uns wurde nur vorgegaukelt, Spaß zu haben.
Eine Lösung könnte sein das Handy aus dem Fenster zu schmeißen.
Oder wir müssen lernen strategisch zu ignorieren, sagt die Journalistin Samira El Ouassil. “Es liegt Weisheit in gezielter Ignoranz verborgen – und ein ganzes, eigenes Leben”, schreibt sie hier.
Und wie aufregend ist bitte dieser Gedanke?
Vor ein paar Wochen, da wechselten wir uns als Familie mit Kranksein ab. Wir quälten uns durch zwei Wochen Virus-Infekt der Zweijährigen, zwei Wochen Bronchitis beim Baby, dann Fieber und Bauchweh bei der Siebenjährigen. Fiebersaft-Knappheit. Sorgen, umsorgen und Erschöpfung. Corona und noch mehr Erschöpfung beim Mann. Ohne mich, die in Elternzeit zumindest nicht einer Lohnarbeit nachgehen musste, hätten wir das nicht stemmen können. Eine schwere Krankheit auch in der nahen Familie. Dann starb meine Omi. Ich möchte gar nicht rumjammern, aber es war nicht leicht.
Zwischen Sorgen und Pflegen illustrierte ich mit der App Canva eine Geschichte, die ich für meine Tochter geschrieben habe. Mimi, die Miesmuschel. Ich hatte Freude daran, diese Geschichte für meine Tochter zu bebildern, weil ich das eben nicht kann und deshalb auch sehr niedrige Erwartungen an mich hatte.
Dieses Gefühl, dieses einfach zu machen, ohne nach Perfektion zu streben und auch ohne Bewertung fürchten zu müssen (wie etwa im Job) hat mich durch den Dezember getragen.
Ein weiterer Gedanke der Autorin Catherine Price ist: Wenn wir gefragt werden, was uns Spaß macht, dann zählen wir oft alles auf, was keine Arbeit ist. Also sowas wie: Ich gucke Netflix, ich lese ein Buch oder ich gehe zum Sport. Aber machen uns all diese Dinge tatsächlich Spaß?
Oft versuchen wir, aus Spaßprojekten wieder Arbeit zu machen (zumindest in kreativen Berufen). Vielleicht ist dieser Newsletter auch wieder nur ein Symptom dessen.
Auf jeden Fall ist der Newsletter ein Experiment.
Dieser Newsletter ist mein Versuch, den Spaß zurückzuholen. Und soll im besten Fall Freude machen.
Schreibt mir gerne, wie euch der Newsletter gefallen hat. Ich freue mich auf euer Feedback! Bis zur nächsten Folge. Und: Viel Spaß (oder auch nicht).
Mehr Spaß
Während den Millennials von ihren Eltern zum Thema Job eingetrichtert wurde: “mach was du liebst”, hat Gen Z eine ganz andere Einstellung zum Thema Arbeit, warum auf der Arbeit nur das Minimum zu leisten eine Entscheidung für ein besseres Leben sein kann.
Wenn wir auf unser Smartphone schauen, atmen wir schlechter und das macht uns ängstlicher, das kannst du dagegen tun.
Nur Spaß
Bijan, 34, Software-Entwickler: Beim Videospielen tauche ich in eine neue Welt ein. Ich muss nicht spielen, es ist freiwillig und es ist etwas anderes als mein Alltag. Ich finde heraus, wie man das Spiel spielt. Löse die auftretenden Probleme. Das fühlt sich gut an. Manchmal komme ich in einen regelrechten Flow, ich tauche ab und vergesse alles um mich herum. Ich spiele gerne Spiele in einer Wohlfühlt-Schwierigkeit. Sodass es herausfordernd ist, aber eben lösbar. Die Aufgaben im Leben können manchmal überfordern, leichtere Aufgaben im Spiel können eine schöne Abwechslung sein. Als ich Corona hatte, habe ich mir ein leichtes Spiel ausgesucht, eines, das mich nicht überfordert. Es gibt für jeden Gemütszustand das passende Spiel.
Lesespaß
Das Buch Liegen entdeckte ich im Newsletter Fast Sommer der Journalistin Mareice Kaiser). Falls euch Lesen und Liegen auch Spaß macht, fünf gute Tipps wieder mehr zu lesen, findet ihr hier.
Kein Spaß
Wir haben nicht alle die gleichen 24 Stunden und es gibt genug Gründe, in diesen Zeiten keinen Spaß zu haben. Um an Spaß zu denken, müssen erstmal unsere Grundbedürfnisse versorgt sein. Das heißt, wir haben genug zu essen und zu trinken. Wir leben in Frieden und müssen keine Angst haben.